Virtuelles Führen

Vernetzte Produkte, digitale Services und automatisierte Prozesse sind die Antwort auf die gesellschaftlichen Veränderungen unserer Zeit und die damit einhergehenden veränderten Kundenerwartungen. Führungskräfte werden gefordert sein, ihre Führungsqualitäten zunehmend auch virtuell ausspielen zu können und zu müssen.

Was ist Führung?

Ob Führung nun durch persönliche Präsenz oder virtuell angeboten und gelebt wird – im Kern sind es immer zwei Dimensionen, die Führung ausmachen.

  1. Management: Management als Aufgabe bedeutet, den Erfolg eines Unternehmens, eines Bereichs oder eines Teams zu organisieren.
     
  2. Leadership: Leadership als Aufgabe bedeutet, Menschen erfolgreich zu machen und zum Erfolg zu führen.

Beide Dimensionen bleiben auch in einer absehbar virtueller geprägten Zukunft die Kernaufgaben von Führung und damit die Kernaufgaben einer jeden Führungskraft.

Was ist ein virtuelles Team?

Ein virtuelles Team ist im Wesentlichen eine räumlich verteilte Arbeitsgruppe. Diese Organisationsform ermöglicht die Zusammenarbeit über geografische, zeitliche oder auch organisationale Grenzen hinweg.

  • Ein virtuelles Team arbeitet auf der Grundlage von Arbeitsaufträgen zusammen und erbringt gemeinsame Ergebnisse.
     
  • Die Kommunikation und Kooperation in virtuellen Teams erfolgt vorrangig via Informations- und Kommunikationstechnologie wie E-Mail, SMS, Messenger, Chat-Funktionalitäten im Social Intranet, Telefon, Video-Telefonie und anderen – oder spezieller Software für Arbeitsgruppen.
     
  • Auf reale Face-to-Face-Kommunikation wird meist verzichtet, oder sie ist aufgrund der räumlichen Entfernung selten anwendbar.

Was ist bei virtueller Führung anders?

Auch wenn sich virtuelle (oder digitale) Führung häufig ganz anders anfühlt als der klassische (analoge) Führungsalltag, so bleibt im Kern Vieles vergleichbar. Es geht immer noch um Management und Leadership.

Und wenn man sich anschaut, welche Kompetenzen für das Führen virtueller Teams als relevant angesehen werden, so zeigt sich, dass es immer noch auf sehr viele der Skills ankommt, die seit Jahren im Fokus klassischer Führungskräfteentwicklung stehen.

IFIDZ – Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (2016). Metastudie: Führen im digitalen Zeitalter.
Relevante Kompetenzen und Anforderungen an Führungskräfte.

Diagramm Kompetenz-Ranking

Und dennoch gibt es im virtuellen Führungsalltag Herausforderungen, die für viele Führungskräfte neu sind und mit denen sie sich explizit auseinandersetzen müssen.

  • Der Aufbau von Vertrauen und tragfähigen Beziehungen zwischen Mitarbeiter und Führungskraft sind elementar für die Zufriedenheit und Motivation von beiden. Dieser Aufbau geschieht aber vorrangig im persönlichen zwischenmenschlichen Kontakt, er erfordert soziale Nähe. In virtuellen Teams lässt sich diese soziale Nähe aber weniger leicht aufbauen. Somit ist die Führungskraft eines virtuellen Teams gefordert, dieses Vertrauen über alternative Wege aufzubauen und aufrechtzuerhalten.
     
  • Der Austausch von Informationen und die Zusammenarbeit kann nicht mehr auch mal „zwischen Tür und Angel“ erfolgen. Kommunikation und Kooperation müssen über ausgewählte Medien abgebildet werden. Hier kommt es auf die richtige Wahl des Mediums für den richtigen Zweck an.
     
  • Ein überlegter Medieneinsatz ist darüber hinaus relevant, weil typische Kontextinformationen der zwischenmenschlichen Kommunikation (Körpersprache, Mimik, Tonfall), die für das Verstehen und Einordnen von Informationen hoch-relevant sind, nur eingeschränkt zur Verfügung stehen. Umso mehr brauchen unterschiedliche Führungssituationen unterschiedliche Kommunikationskanäle im virtuellen Alltag.
     
  • Virtuelle Teams stellen noch einmal mehr höhere Anforderungen an das Projektmanagement. Virtuelle Teams sind klarer zu beauftragen, Verantwortlichkeiten eindeutiger festzulegen, Ziele sind deutlicher zu kommunizieren und die Aufgabenkoordination muss noch transparenter erfolgen, als dies in Präsenzteams bereits der Fall ist.

Was bewegt Mitarbeiter in virtuellen Teams?

  • Wenn Mitarbeiter und Führungskräfte in virtuelle Teamstrukturen gelangen oder sogar aufgrund externer Einflüsse in solche Rahmenbedingungen gezwungen werden – so wie wir es in der Corona-Pandemie erlebt haben und erleben – so betreten sie für sich häufig „psychologisch“ Neuland. Auch wenn sie ihre Rollen und Aufgaben kennen, so verändert sich dennoch der Kontext.
     
  • Die soziale Nähe zu den Kollegen geht verloren. Gewohnte und vielleicht auch lieb gewonnene soziale Rituale wie die gemeinsame Tasse Kaffee fallen zunächst einmal weg.
     
  • Die Arbeitsumgebung verändert sich häufig, etwa, weil viel mehr Aufgaben im Homeoffice erledigt werden können und müssen. Gerade der Wechsel ins Homeoffice darf in seiner Wirkung auf die menschliche Psyche nicht unterschätzt werden. Die Arbeit von zuhause stellt einerseits den Eintritt in eine arbeitsungewohnte Umgebung dar, andererseits verwischt sie die Grenze zwischen Beruflichem und Privatem.
     
  • Das Gefühl für ein Team lässt nach. Bindung braucht persönlichen Kontakt. Und je mehr Beziehungen auf Distanz geführt werden, umso mehr geht den Mitarbeitern auch das Gefühl für ein Team und die eigene Zugehörigkeit zum Team, vielleicht sogar zur Marke, verloren.
     
  • Veränderte und aufwändigere Kommunikationswege nehmen oder mindern das Gefühl des „informiert seins“.
     
  • Mögliche Ablenkungsherde im Homeoffice führen zu stärkeren psychischen Belastungen und Stressempfinden. Dieses Stressempfinden wird zudem häufig durch ungewohnten Technologieeinsatz für Kommunikation zusätzlich erhöht.

Vermutlich ließe sich diese Reihe von Einflussfaktoren noch lange fortsetzen. Wesentlich ist jedoch: Die Veränderung für den Mitarbeiter nimmt gewohnte Routinen, dies führt zu Unsicherheit und Verunsicherung. Die wiederum belasten die Leistungsfähigkeit und die Motivation. Dies müssen Führungskräfte verinnerlichen und mit einem angepassten Führungsverhalten und intensiver Begleitung entgegenwirken, um Sicherheit und Orientierung zu geben und Vertrauen (wieder) aufzubauen oder zu stärken.

Welche Kultur braucht virtuelle Führung?

Virtuelle Teams bringen häufig nicht nur eine Veränderung der gewohnten Zusammenarbeit, sondern auch der Kultur mit sich. Die räumliche und soziale Distanz erfordert von Unternehmen, Bereichen und einzelnen Teams ein klares Bekenntnis für – und eine klare kulturelle Ausrichtung auf – die folgenden drei Dimensionen:

  • Leistungsorientierung: Es braucht ein ausgeprägtes Leistungsdenken bei Mitarbeitern und Führungskräften, welches bei der hohen Eigenverantwortung in der Virtualität die klare Richtung für erwartungsgerechte Arbeitsleistungen vorgibt.
     
  • Menschorientierung: Es braucht neben einem positiven Menschenbild ein sehr hohes Maß an Vertrauen in die eigene Selbständigkeit, Disziplin und Leistungsbereitschaft – und die der anderen. Virtuelle Führung bedarf nicht etwa gesteigerter Kontrolle, sondern intensiverer Begleitung.
     
  • Prozess-/Projektorientierung: Das Steuern und Begleiten virtueller Teams erfordert noch mehr Klarheit in Erwartungen, Zielen, Abläufen und Verantwortlichkeiten. Da sich Missverständnisse „auf dem kleinen Dienstweg“ in virtuellen Teams schwerer ausräumen lassen, sind Eindeutigkeit und Transparenz umso wichtiger.

Diese drei kulturellen Dimensionen bedingen und beeinflussen sich gegenseitig. Leistung braucht Vertrauen und Klarheit in den Erwartungen. Leistung bringt aber auch Vertrauen, und die entsprechenden und passenden Prozesse ermöglichen Leistung.

Welches Medium für welchen Anlass?

Jedes Medium und jeder Kanal bringt mit Blick auf die Kommunikation unterschiedliche Vor- und Nachteile mit sich. Die nachstehenden Hinweise geben eine erste Orientierung. Für die Kommunikation in virtuellen Teams ist es für Führungskräfte wichtig zu entscheiden, welche Kommunikation über welchen Kanal oder welches Medium gestaltet wird. Grundsätzlich sollte innerhalb einer Organisation, eines Bereichs oder einer Unit ein abgestimmtes Vorgehen mit den jeweiligen Teams oder dem jeweiligen Team gelten. Für die Mitarbeiter ist es wichtig zu wissen, welche Kommunikation oder welche Botschaften/Inhalte über welchen Kanal kommuniziert werden. Das schafft Sicherheit und Transparenz.

  • Das Telefon und mehr noch die Video-Telefonie sollten Führungskräfte immer zum Dialog mit Mitarbeitern nutzen, wenn sie ein gemeinsames Verständnis zu einem Sachverhalt oder einer Situation herbeiführen oder Beziehungsarbeit im Sinne von „Vertrauen aufbauen und pflegen“ wollen. Nur das Telefon und die Videotelefonie können über Körpersprache, Mimik oder Gestik Kontext-Informationen transportieren, die für das Verständnis und das Vertrauen so relevant sind. Und nur über diese Kanäle können Führungskräfte auch die wichtige „emotionale Präsenz“ über räumliche Distanz zeigen. Die Erfahrung zeigt, dass wir in diesen Situationen dennoch auf andere Kanäle ausweichen, weil sie vermeintlich schneller und bequemer sind. Zusätzlich verführt uns die soziale Distanz, die Emotionalität auch mal zu vermeiden. Aber hier sind gerade Führungskräfte gefordert, die notwendige Disziplin an den Tag zu legen.
     
  • Der klassischen Schriftkanal E-Mail wird genutzt, wenn es erforderlich ist, Vereinbarungen zu fixieren und verfügbar zu machen oder allgemein eine Dokumentation wichtig ist. Der Schriftkanal liefert keine relevanten Kontextinformationen, dementsprechend weit ist sein Interpretationsspielraum, weshalb er für den Beziehungsaufbau und den Verständnisdialog weniger geeignet ist. Er ist zuvorderst ein Informationskanal für jene Informationen, die nicht über andere und bekannte Systemkanäle, etwa Projekträume im Social Intranet, adressierbar sind.
     
  • Messenger wie SMS, WhatsApp und andere sind schnelle Kanäle, auf denen sich kurze Informationen in hoher Geschwindigkeit austauschen lassen. Deren User sind schnelle Reaktionen gewohnt. Verwenden Führungskräfte diese Kanäle, müssen sie sich des hohen psychologischen Drucks bewusst sein, den sie damit aufbauen. Zudem sind solche Kanäle weder effektiv, noch sind sie für Beziehungsarbeit im Team wirklich geeignet – obwohl sie einen immer größeren Raum in unserem Leben einnehmen. Messenger sollten also von Führungskräften nur für die schnelle Kommunikation zwischendurch und Information auf individueller Ebene eingesetzt werden, oder als Ersatz für den kleinen Smalltalk „zwischen Tür und Angel“.

Zusammenfassend sollten Führungskräfte also immer nach dem Prinzip verfahren, dass je mehr Effektivität und Emotionalität für die Kommunikation wesentlich sind, umso mehr sollten sie jene Kanäle nutzen, die mehr Kontext-Informationen transportieren.

Worauf sollten Führungskräfte achten?

Führungskräfte, die neu in einer virtuellen Führungssituation sind, können sich an den nachstehenden Empfehlungen orientieren, wollen sie dem eigenen Team weiterhin Halt, Struktur und Führung geben. Diese Empfehlungen sind selbstverständlich immer in Abhängigkeit von der jeweiligen Teamgröße und den individuellen Mitarbeiterprofilen bzw. -reifegraden zu sehen und müssen dementsprechend in ihrer Umsetzbarkeit von jeder Führungskraft realistisch eingeschätzt und bewertet werden.

  1. Um in enger (aber auch nicht als zu eng erlebter) Abstimmung mit dem Team zu sein, empfiehlt es sich, mindestens 2 bis 3 Dailys pro Woche mit dem Team durchzuführen, etwa montags, mittwochs und freitags. Ein solches Daily als virtuelles Format per Video-Meeting dauert ca. 30 Minuten und wird sinnvollerweise morgens (montags und mittwochs) und freitags gegen Mittag/Nachmittag durchgeführt. In diesen virtuellen Teammeetings werden Stimmungsbilder zu Beginn von jedem einzelnen Mitarbeiter eingeholt, die Wochenplanung gemeinsam besprochen, vereinbart und im Verlaufe der Woche reflektiert, Tages- und Wochenziele (sofern sinnvoll/erforderlich) besprochen und fixiert sowie individuelle Bedarfe („Was brauchst Du von mir in dieser/für diese Woche?“) geklärt. Relevante Vereinbarungen werden – sofern nicht schon systemseitig abgebildet – anschließend kurz dokumentiert und z.B. in einem virtuellen Arbeitsraum für alle Teammitglieder verfügbar abgelegt.
     
  2. Sie sollten mit jedem Mitarbeiter mindestens einmal pro Woche ein Einzelgespräch führen (Telefon oder Video-Telefonie), um auf individueller Ebene nach Arbeitsaufgaben und Arbeitsfortschritt sowie individuellen Bedarfen zu fragen. Diese Calls sollten zudem immer auch unter dem Care-Aspekt stehen. Wie geht es dem Mitarbeiter gerade? Was bewegt ihn? Was schränkt ihn ein oder belastet ihn? Die soziale Distanz verunsichert viele Mitarbeiter zunehmend, und Führungskräfte müssen solchen Verunsicherungen durch Nähe entgegenwirken. Grundsätzlich richtet sich auch die individuelle Betreuung natürlich immer nach dem Reifegrad des Mitarbeiters. Es gilt also immer zu bewerten, welcher Mitarbeiter wie viel individuelle Betreuung benötigt.
     
  3. Legen Sie mit Ihren Mitarbeitern Strukturen der Erreichbarkeit fest. Virtuelles Arbeiten, noch dazu im Homeoffice, lässt schnell Grenzen zwischen Beruf und Privatsphäre verschwimmen und suggeriert subjektiv das Gefühl einer höheren Erreichbarkeitsverpflichtung. Führungskräfte sollten also Zeitfenster für Kontakt und Erreichbarkeiten festlegen und dadurch ein klares Signal geben, wann Mitarbeiter auch nicht mehr erreichbar sein müssen.
     
  4. Stärken Sie den Teamgedanken durch gemeinsame virtuelle Aktivitäten. Die soziale Distanz birgt immer die Gefahr einer schleichenden Entfremdung voneinander. Aber auch im virtuellen Kontext sind gemeinsame Aktivitäten, ist ein Socializing, möglich. Verabredungen, etwa zu einem virtuellen Teamessen oder einer virtuellen Kaffeerunde, die jeweils ganz bewusst nicht die Arbeit in den Fokus rücken, sondern das Ziel haben, durch das Gemeinsame persönliche Nähe aufrecht zu erhalten und zu stärken, sind hier ein bewährtes Mittel.
     
  5. Achten Sie darauf, dass Aufgaben und Erwartungen sehr klar und eindeutig formuliert und verstanden werden. Dieses Verständnis muss im virtuellen Teamkontext gewissenhafter gesichert werden, als es vielleicht von analogen Teams bekannt und gewohnt ist. Die (soziale) Distanz erschwert spontane Regulierungen und Interventionen. Deshalb sind klare Aufgaben und transparente Erwartungshaltungen in virtuellen Teams hoch-relevant. Um das Verständnis zu sichern, sind die Punkte 1 und 2 elementar. Gleichzeitig dürfen Führungskräfte nicht überkontrollieren, denn eine erfolgreiche virtuelle Zusammenarbeit setzt Vertrauen voraus!
     
  6. Entwickeln Sie mit Ihrem Team Regeln für die gemeinsamen virtuellen Meetings als Hilfestellung und gemeinsame Orientierung, etwa in den Kategorien
    a. Ablauf Warm-up, Agenda, Themen, Vereinbarungen/Commitment, Warm-out
    b. Verhalten pünktlicher Beginn, individuelle Verantwortung für den Technik-Check vor dem Meeting, Mikrofon muten, ruhige Umgebung schaffen etc.)
    Legen Sie zudem gegebenenfalls Rollen wie den Moderator, den Organisator, den Chatbeauftragten und andere für Ihre Dailys fest; diese können im Team rollieren und jeden immer wieder in Verantwortung bringen.

Der zunehmende Einstieg in eine Welt der virtuellen Führung stellt uns alle in unterschiedlichem Maß vor Herausforderungen. Ein grundsätzlicher Verständniswandel von struktureller Führung zu Führung als Coaching- und Mentoring-Aufgabe ist die zwingende Voraussetzung für eine erfolgreiche Veränderung – denn die Qualität von Führung ist auch in der „neuen Welt“ von hoch-relevanter Bedeutung für Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit von Menschen und Organisationen.

Ansprechpartner

Matthias Schulte

Partner
Seit Anfang 2000 ist der diplomierte Psychologe fester Bestandteil des Teams von MUUUH! Consulting. Er berät und begleitet bis heute...

Telefon: +491703736886
E-Mail: matthias.schulte@muuuh.de

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