Diese nachteiligen Erfahrungen, die zunehmend ebenfalls in Studien gegriffen und beschrieben werden, beziehen sich beispielsweise auf steigende Krankheitsausfälle in Unternehmen. Suchterkrankungen, Depressionen und – entgegen der oben angeführten Studie der DAK – auch zunehmend erhöht empfundene Stresslevel werden hier benannt. Diese nachteiligen Erfahrungen zeigen sich insbesondere dann, wenn der Anteil von Remote-Work bei nahezu 100 Prozent liegt, denn eine vollständige soziale Distanzierung im Arbeitskontext birgt psychologische Risiken.
Entloyalisierung
Loyalität zu einem Team oder zu einem Arbeitgeber lebt bei uns Menschen nach wie vor vom persönlichen Kontakterleben, vom Zwischenmenschlichen, vom Erleben der KollegInnen oder eines Unternehmens. All diese Wirkgrößen sind in einer vollständig digitalisierten Arbeitswelt nur eingeschränkt wirksam. Loyalität und Commitment haben aber einen signifikanten Einfluss auf die Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit einer Organisation. Somit hat Remote-Work auch einen de-loyalisierenden Impact, dem mit gesteuerten Möglichkeiten der Begegnung und persönlichem Kontakt entgegengewirkt werden muss. Andernfalls werden die positiven Effekte von Work@Home durch die psychologische Destabilisierung sukzessive aufgehoben.
Des-Orientierung
Menschen regulieren ihren eigenen Selbstwert über den Sozialvergleich mit anderen. Außerdem lernen Menschen effektiv am Modell und regulieren eigenes Verhalten über Erfahrungen, die sie über und durch andere sammeln. Beide essenziellen Einflüsse werden über Remote-Work ebenfalls deutlich reduziert. Die Konsequenz daraus kann eine Des-Orientierung von Mitarbeitenden sein. Das psychologische Regulativ der sozialen Umwelt im Arbeitskontext geht verloren, eigenes Verhalten wird dadurch nicht mehr psychologisch geframed und kann Manifestationen entwickeln, die die Produktivität und die gewünschte Arbeitsqualität nachhaltig negativ beeinflussen.
Motivationsverluste
Motivation lebt vom Erfüllen von individuellen Bedürfnissen. Und auch wenn Bedürfnisse individuell wirksam sind, so gelten die Bedürfnisse nach sozialem Kontakt und sozialer Anerkennung bei uns Menschen nahezu universell. Mit einem zunehmenden Anteil an Work@Home und der sozialen Distanzierung schwinden diese wertvollen Einflüsse auf die individuelle Motivation. Auch dadurch werden Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit nachhaltig beeinträchtigt.
Abgrenzungsverluste
Die Platzierung der Arbeit im eigenen Wohnumfeld führt insbesondere bei Menschen, denen Struktur, Disziplin und Selbstorganisation schwerfallen, zu einer Omni-Präsenz der Arbeit. Eine bewusste Abgrenzung und Loslösung für notwendige Erholungsphasen, wie sie etwa allein durch das physische Verlassen einer Arbeitsstätte unterstützt wird, findet nicht mehr oder nur noch gemindert statt. Das kann mittelfristig die psychische Belastung bei Mitarbeitenden erhöhen und sich in der Folge negativ auf Bereitschaft und Performance auswirken.
Schnellere Ermüdung
Amerikanische Forscher der Stanford-University (Bailenson, 2020) sprechen mittlerweile von der sogenannten „Zoom-Müdigkeit“. Die Zusammenarbeit via Video-Konferenzen erfordert andere Regeln und Muster als die Zusammenarbeit in physischer Präsenz. Die Teilnahme an Videokonferenzen geht mit einer höheren kognitiven Belastung einher als die Teilnahme in persönlicher Anwesenheit. Dies liegt an der leichten Asynchronität, mit der Kommunikationssignale in der Videokonferenz aufgenommen werden. Diese Asynchronität auszugleichen, erfordert vom menschlichen Gehirn eine höhere Leistung und damit einen höheren Energieverbrauch. Die Konsequenzen daraus sind Ermüdung, Mattheit und dadurch auch Einbußen im kreativen Potenzial von Mitarbeitenden. Eine vollständige Virtualisierung der Arbeit wird also die psychische Belastung erhöhen und sich gleichzeitig negativ auf die kreative Potenzialausschöpfung auswirken.
Über diese fünf psychologischen Risiken hinaus gibt es selbstverständlich etliche weitere Risiken, die im Kontext von Work@Home mit gleicher Sorgfalt betrachtet werden müssen. Doch zeigen allein die beispielhaft aufgeführten Einflussgrößen, dass Remote-Work ein deutlich diffizileres Konstrukt ist, als es zunächst den Anschein hat.