Community für den Luxus unter der Lupe
Dazu untersuchen die Forscher das Purse-Forum, eine Plattform bzw. Community für Luxusgüter mit dem Fokus auf Designerhandtaschen und -accessoires. Die Community umfasst mehr als 270.000 aktive Mitglieder, die zusammen mehr als 15 Millionen Beiträge verfasst haben. Damit hat das Forum in seiner Nische eine hohe Relevanz. Verschiedene Unterbereiche befassen sich zudem direkt mit konkreten Designermarken wie Dior, Chanel oder Louis Vuitton. Bei diesen Unterforen handelt es sich um Brand Communities.
Vermessung der treibenden User
In einem ersten Schritt identifizierten Hollebeek und Kollegen die aktivsten 20 Mitglieder einer Gruppe. Als Parameter diente ihnen die Zahl der initialen Wortmeldungen, Diskussionsbeiträge und geteilten Kollektionen einer Marke. Diese als besonders engagiert klassifizierten Community-Mitglieder – vulgo „Heavy User“ – war mindestens seit zwei Jahren Mitglied der Gruppe und hatte wenigstens 2.000 Blog-Beiträge verfasst. Vier der 20 Mitglieder unterstützen die Community auch als Moderatoren. Mit Blick auf das Sujet wenig überraschend, handelt es sich bei den Mitgliedern des Forums ausschließlich um Frauen im Alter zwischen 20 und 50 Jahren. Letztlich wurden 802 Diskussionen, so genannte Threads, mit 489 Bildern über einen Zeitraum von sechs Monaten analysiert.
Das Forscherteam nutz eine Methode namens Netnography, also einen ethnographischen Ansatz, der in die virtuelle Welt übertragen wird. In diesem Video erklärt Erfinder Robert Kozinets seinen Ansatz etwas genauer. Netnography ist besonders im Marketing schnell zu einer populären Forschungsmethode herangewachsen. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass Forscher durch teilnehmende Beobachtung in virtuellen Umgebungen, zum Beispiel in Online Communities, Daten erheben, ohne dass diese aktiv gesammelt werden müssen, also im Sinne klassischer Interviews oder Umfragen. Das ist möglich, weil Interessierte derlei Daten in vielen Online-Umgebungen frei einsehen können – selbstverständlich unter Berücksichtigung der gängigen ethischen Richtlinien für derartige Erhebungen.
Die Daten verdichteten die Autoren der Studie mittels unterschiedlicher Analyseverfahren auf acht unterscheidbare Verhaltensmuster der Heavy User:
Greeting: Freundliche Begrüßung neuer Mitglieder, freudige Reaktion über das Beitreten und zukünftige Beiträge
Regulating: Aufzeigen von Regeln und Richtlinien, die zur Etablierung von Normen führen und die Erwartungen der Mitglieder formen
Assisting: Hilfestellungen an andere Community-Mitglieder, bezüglich der Marke oder der Community (z.B. zur Nutzung der Community)
Appreciating: Das Zeigen von Dankbarkeit gegenüber der Community oder bestimmten Community-Mitglieder für Engagement und Beiträge
Empathizing: Das Zeigen von emotionaler Unterstützung und Verständnis für andere Community-Mitglieder, in Bezug auf die Community, die Marke oder andere Themen
Mingling: Aktivitäten (on- und offline), die Beziehungen und Freundschaften zwischen den Community-Mitgliedern stärken und explizit über den Fokus der Community oder der Marke hinausgehen
Celebrating: Das Wahrnehmen und Aufzeigen bestimmter Meilensteine, Erfolge oder besonderer Anlässe von Mitgliedern, der Marke oder der Community, etwa das Erreichen „runder“ Mitgliedszahlen.
Ranking: Das Investment von Community-Mitgliedern zur Entwicklung ihrer eigenen Rolle in der Community (auch Position oder Status)
Quelle: Hollebeek et al. (2017), Übersetzung durch den Autor
Auffällig an den oben genannten Praktiken ist, dass hier eine bewusste und zielgerichtete Verschmelzung von Aktivitäten rund um die Marke (und deren Produkte) sowie sozialer Aktivitäten der Community-Mitglieder, stattfindet. So lässt sich das Gewähren emotionalen Beistand ebenso beobachten wie das Entstehen von Freundschaften.
Während wir im letzten Artikel die Messung von Community Engagement vorgestellt haben, beschäftigt sich das hier besprochene Paper lediglich mit den beobachtbaren Verhaltensweisen. Der Fragebogen von Baldus und Kollegen berücksichtigte zusätzlich die Motivation hinter dem persönlichen Einsatz und den Spaß an der Interaktion mit und in der Community. Derartige Aspekte lassen sich anhand des sichtbaren Verhaltens möglicherweise nur indirekt, nie aber unmittelbar, nachvollziehen.
Hollebeek und Kollegen entwickeln im Anschluss noch ein Prozessmodell für Community Engagement. So stellen sie fest, dass Greeting und Regulating gerade beim Onboarding neuer Community-Mitglieder eine wichtige Rolle spielen. Der soziale Austausch mit Assisiting, Appreciating, Empathizing und Mingling fördert hingegen vor allem die Entwicklung bestehender Mitglieder und bindet diese.
Brand Community: Lehrling, Geselle, Meister
Insbesondere das Erarbeiten eines persönlichen Status ist bei etablierten Community-Mitgliedern von Bedeutung, wenn es zum Beispiel um die Benennung von Moderatoren, Experten und anderen Rollen geht. Im Kern spiegeln Communities einen Karriereweg, den wir auch in traditionellen Unternehmen finden. Den steuert dort üblicherweise die Personalabteilung, etwa eine Progression vom Lehrling zum Fachexperten oder Manager. Auch die Entwicklung von Community-Mitgliedern kann und sollte dieser Logik folgen.
Die strategischen Implikationen von Online-Communities sind immens; gut geführte Communities können erheblich zur Kundenbindung und zur Stärkung der Marke beitragen. Vier zentrale, praxisorientierte Ableitungen der diskutierten Studie haben wir hier für interessierte Online-Marketing- und Community-Manager aufgeführt.
• Marken-Communities leben nicht nur vom nüchternen Informationsaustausch
Auch wenn die Community im Forum offiziell markenrelevante Themen betrachtet, ist die soziale Interaktionen zwischen Mitgliedern essenziell für den Austausch. Diese zwischenmenschliche Komponente sollte daher angeregt und gefördert werden.
• Marken-Communities sollten Karrierechancen bieten
Die Community-Mitglieder können nach Lebenszyklusphasen kategorisiert werden, etwa in Einsteiger, Erfahrene und Experten. Jede Community benötigt Mitglieder in allen Lebenszyklusstufen. Ein System für eine kontinuierliche Mitgliederentwicklung, angefangen vom Onboarding bis zum Ausstieg aus der Community, sollte deshalb entwickelt und umgesetzt werden.
• Marken-Communities sollten erwünschtes Verhalten vorleben
Die oben dargestellten Praktiken müssen angeregt und vorgelebt werden. Erfahrene Mitglieder und Experten, möglicherweise auch die Mitarbeiter des Community-betreibenden Unternehmens, sind hier für eine Art Vorbildrolle prädestiniert. Sie können die erwünschten sozialen Regeln als Norm innerhalb der Community etablieren.
• Marken-Communities sollten User belohnen
Nur wenn das gesteckte Ziel auch erstrebenswert ist, werden Community-Mitglieder den Aufwand und die Mühe in Kauf nehmen, die mit dem Erreichen dieses Status einhergehen. Häufig genießen überdurchschnittlich aktive Mitglieder Zugang zu exklusiven Information und anderen Privilegien, etwa die Übernahme von Moderatorenrollen, Mitbestimmungsrechte bei der Gestaltung und Weiterentwicklung der Community oder die Teilnahme an exklusiven Heavy-User-Treffen. Was funktioniert, hängt aber in der Regel stark vom Kontext der Community ab.
Autor: Prof. Dr. David Wagner
Community- und Engagement-Management für Sie
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