Bereits in den 1960er-Jahren gab es das erste Computerprogramm namens ELIZA, entwickelt von Joseph Weizenbaum am MIT, mit dessen Hilfe Mensch und Maschine auf Basis natürlicher Sprache miteinander kommunizieren konnten. Seitdem arbeiten Wissenschaftler:innen weltweit an der Weiterentwicklung dieser Idee. Der Fortschritt insbesondere im Bereich der Spracherkennung (Natural Language Processing) hat Chat- und Voicebots in den letzten Jahren zu einem Boom verholfen. Sie sind Teil eines größeren Trends – dem Conversational Commerce. Conversational Commerce beschreibt die Interaktion zwischen Kund:innen und Unternehmen in Echtzeit mithilfe von technischen Hilfsmitteln (z.B. Messenger oder Bots), wobei der Austausch sowohl zwischen Mensch und Mensch als auch zwischen Mensch und Maschine erfolgen kann. Vor einiger Zeit haben wir anschaulich erklärt, wie eine Pizzabestellung per Bot funktioniert (und auch ein WhitePaper zur Anatomie von Chatbots veröffentlicht).
Chatbots im Kundenservice: Wann ist der Einsatz erfolgreich?
Conversational Commerce im Trend
Im Bereich der Finanzdienstleistungen, etwa bei Banken und Versicherungen, nutzen bereits heute mehr als 50 % der globalen Top 100 Chatbots. Viele weitere Unternehmen planen zeitnah eine Einführung. Chatbot-Projekte stellen in der Regel einen wichtigen Baustein auf der Digital-Transformation-Agenda dar, mit dem Ziel, die Schnittstelle(n) zu Kund:innen auszubauen und die Customer Experience nachhaltig zu verbessern.
Studie zur erfolgreichen Implementierung von Chatbots im Kundenservice
Dieser Beitrag basiert auf einer Studie von Juliana Zhang, Asbjørn Følstad und Cato Bjørkli, die an der psychologischen Fakultät der Uni Oslo bzw. dem SINTEF, einer unabhängigen norwegischen Forschungsorganisation, arbeiten. Die Studienergebnisse wurden vor Kurzem in einem Artikel mit dem Titel „Organizational Factors Affecting Successful Implementation of Chatbots for Customer Service“ im Journal of Internet Commerce veröffentlicht.
Die Forscher starten mit der Beobachtung, dass es aktuell eine große Anzahl an Studien gibt, die sich der Frage widmen, was einen guten Chatbot ausmacht. Allerdings liegt der Fokus dabei oft auf technischen Details (etwa dem Conversational Design), den Features des Chatbots oder den spezifischen Präferenzen der Nutzenden (insbesondere gegenüber menschlichen Agent:innen). Was aktuell fehlt, ist das „Big Picture“, das zeigt, in welchen Organisationskontexten Chatbot-Projekte erfolgreich implementiert wurden, vor allem im Dienstleistungssektor. Genau hier setzt die Studie an.
Die Autor:innen untersuchen dafür mehrjährige Chatbot-Projekte mit dem Fokus auf Customer Service in sechs großen Organisationen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden aus den Bereichen Bank- und Finanzwesen, Medien und Telekommunikation sowie Beratung und öffentliche Verwaltung. Dort führten sie Interviews mit verschiedenen Projektbeteiligten. Sie fragten dabei insbesondere nach Motivationen zur Nutzung, den Kriterien zur Erfolgsmessung bei der Implementierung und den organisationalen Rahmenbedingungen, die einer erfolgreichen Implementierung zugrunde lagen.
Ergebnisse der Studie
Die Ergebnisse der Studie im Überblick:
Ziele für die Einführung eines Chatbots
Es wurden vier Motivationen für die Implementierung eines Chatbots ermittelt:
1. Bewältigung eines hohen Volumens an sich wiederholenden Fragen
2. Verbesserung des Erlebnisses im Kundenservice (Customer Experience)
3. Senkung der Kosten und des Ressourcenbedarfs
4. Förderung der Digitalisierung/Beitrag zur Digitalen Transformation
Erfolgsmessung bei der Implementierung
Alle Teilnehmenden berichteten über festgelegte Erfolgskriterien für den Chatbot ihrer Organisation, dazu gehörten:
1. die erfolgreiche Lösung von Kundenanfragen
2. ein verbessertes Management des Kundenservice (Reduktion von Anfragen; Aufbau weiterer, relevanter Kanäle; bessere/gezieltere Hinleitung zum/zur korrekten Ansprechpartner:in)
3. positives Feedback von Kund:innen und Dritten (z.B. über Feedback/Reviews)
Einige Unternehmen merkten auch an, dass sie die Nutzung des Chatbots an konkrete Kundenzufriedenheitswerte, wie etwa den Net Promoter Score, koppelten.
Das macht einen erfolgreichen Chatbot aus
Es wurden fünf organisationale Faktoren identifiziert, die für die Chatbot-Implementierung besonders relevant sind:
Arbeits- und Teamorganisation
Die Beteiligten der Unternehmen berichteten, dass es sich insbesondere in der Entwicklungsphase ausgezahlt habe, größere Freiheiten zu besitzen, um flexibel auf spezifische Anforderungen zu reagieren. Mehr Struktur und klarer definierte Prozesse folgten oft erst bei der Umsetzung ins Tagesgeschäft (Operations). Ein besonders wichtiges Teammitglied war der sogenannte AI-Trainer, welcher sich um das inhaltliche Training des Bots kümmerte (also welche Fragen können wie gestellt werden und welche Antworten erhalten Kund:innen). Interessanterweise waren das in aller Regel Mitarbeitende aus dem Kundenservice selbst, die diese Aufgabe zusätzlich übernahmen. Das macht insofern Sinn, weil diese die Anliegen und Probleme der Kundschaft gut kennen und auch mit deren Gepflogenheiten gut vertraut sind. Spannungen gab es in kleineren Teams, bei denen der Wegfall einzelner Mitarbeitenden – wenn auch nur stundenweise - (zu) deutlich spürbar war. Möglich ist die Programmierung der Bots durch nicht-technisches Personal u.a. durch die Nutzung von sogenannter Low Code Software, bei der keine Programmierkenntnisse notwendig sind. So können etwa Kundendienstmitarbeitende selbständig Bot-Dialoge gestalten.
Change Management
Wie bei allen technologieorientierten Innovationsprozessen spielt auch in einem Chatbot-Projekt der Umgang mit Veränderungen eine wichtige Rolle. Projektbeteiligte bezogen sich in puncto Wandel auf vier Unterbereiche: Führung, Widerstände, Entscheidungsprozesse und Informationsmanagement. So wurde Technologie- und Innovationsoffenheit bei Führungskräften besonders geschätzt und erleichterten die Umsetzung. Ebenso war – gerade in der Entwicklungsphase, wie oben beschrieben – Autonomie der Projektbeteiligten besonders wichtig. Widerstände gab es vor allem bei der Frage um die Servicequalität von Chatbots und der Verdrängung von menschlicher Arbeitskraft durch die Bots. Entscheidungsprozesse in größeren Unternehmen sind in der Regel komplex. Insbesondere für cross-funktionale Teams, bei denen die Chatbot Teams auf Inputs anderer Abteilungen angewiesen waren (z.B. IT, Sales), stellte das eine Herausforderung dar. Nicht zuletzt kam der Faktor Informationsmanagement. Wird zum Beispiel ein Preis geändert, ein Produkt weiterentwickelt oder ein neues Produkt eingeführt, ändert sich auch der dazu gehörige Chatbot-Content. Hier ist saubere Schnittstellenarbeit besonders wichtig. Übrigens: MUUUH! hat einen eigenen Ansatz für das Change Management entwickelt.
Kompetenzmanagement
Wenig überraschend sind Aufbau notwendiger Erfahrungen und Fähigkeiten für das Gelingen eines Chatbot-Projektes besonders wichtig. Interessanterweise rekrutierten die meisten Unternehmen die Teams aus der bestehenden Belegschaft. Auch gab es in der Regel kein formelles Training durch die Organisation, sondern Mitarbeitende besuchten Workshops oder Zertifikatskurse, u.a. in Zusammenarbeit mit Plattformanbietern oder Dienstleistern. Eine besondere Rolle spielten die oben genannten AI-Trainer:innen, die den Chatbot mit Inhalten trainieren und füllen. Diese Trainer:innen sollten die Produkte und die Kund:innen sehr gut kennen, gut schreiben und analytisch denken können. Das informelle Teilen von Erfahrungen wurde ebenfalls als wichtig beschrieben, allerdings besitzen die meisten Unternehmen dafür keine Prozesse oder bestehende Routinen, so dass ein gelungener Austausch oft dem Zufall überlassen bleibt. Den Aspekt der Aus- und Weiterbildung haben wir auch in einem kürzlich erschienenen Beitrag ausführlicher beleuchtet.
Interne und externe Ressourcen
Natürlich gibt es verschiedene interne und externe Ressourcen, die eine erfolgreiche Einführung begünstigen. Allen voran wurde hier die bestehende IT-Infrastruktur, oder Legacy IT, genannt. Ist diese bereits in einem Zustand, dass das Chatbot Team auf bestehende Infrastruktur aufbauen bzw. diese ausbauen kann (z.B. durch das Vorhandensein von Schnittstellen mit anderen Anwendungen)? Darüber hinaus war es für Projektteams hilfreich, wenn sie neben den AI-Trainier:innen auf hauseigene IT-Entwickler:innen zurückgreifen konnten. Nicht zuletzt wurde der Plattform-Partner bzw. Dienstleister als wichtige Ressource genannt. Eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe ist hier besonders wichtig, sei es bei der Schulung von Mitarbeitenden oder der schnellen Rückmeldung auf spezifische Anforderungen des Unternehmens.
Leistungskennzahlen (KPIs)
Wie auch bei anderen Technologie- und Innovationsprojekten, stellt sich auch bei Chatbot-Projekten die Frage nach dem Return-on-Invest oder zumindest nach der Bewertung einer erfolgreichen Implementierung. Verschiedene Projektbeteiligte betrachteten dieses Feld als Herausforderung, weil standardisierte Kennzahlen in der Regel nicht existieren bzw. diese auch an den Kontext des Unternehmens angepasst, also entwickelt, werden müssen. In jedem Fall ist eine kontinuierliche, längerfristige Finanzierung von Innovationsprojekten wahrscheinlicher, wenn bereits in kleinen Schritten Erfolge gemeldet werden können. Innerhalb der Firmen gab es sowohl qualitative als auch quantitative Ansätze zur Bewertung des Erfolgs. Auf der quantitativen Seite werden in der Regel die Kundenkontaktanfragen und deren Lösung über verschiedene Service-Kanäle gemessen, etwa die Eingänge von Anrufen, Emails oder eben die Abfragen über einen Chatbot. Auf der qualitativen Seite können natürlich individuelle Chatbot-Dialoge ausgewertet werden. Dazu kommen individuelle Abfragen von Kundenfeedback am Ende eines Dialogs oder über strukturierte Abfragen nach Abschluss der Bearbeitung. Allerdings gilt es – wie oft – diese Kennzahlen genau zu hinterfragen. So kann ein Rückgang von Anrufen zwar ein Erfolgsindikator zur Nutzung alternativer Kanäle, etwa eines Chatbots, sein, allerdings variieren Anrufvolumina auch saisonal und Kundenpräferenzen zur Nutzung verschiedener Kanäle verschieben sich über die Zeit. Auch gab es Fälle von negativem Feedback, bei dem Kund:innen zwar richtige – aber ungewollte - Antwort erhielten.
Chatbot im Kundenservice: Learnings für die Unternehmen
Die Projektbeteiligten stellten die folgenden Learnings besonders heraus:
1. Verständnis der Technologie, um die Anwendungsszenarien für den Chatbot angemessen einzugrenzen und die benötigten Ressourcen zu planen
2. Die Erkenntnis, dass auch bei effektiven Chatbots immer noch Kundendienstmitarbeitende benötigt werden, da sie verschiedene Rollen übernehmen, wenn der Chatbot an seine Grenzen kommt (und damit der sogenannte hand-over zu einem menschlichen Mitarbeiter eine wichtige Rolle spielt)
3. dass Chatbots für den Kundendienst sorgfältig auf die Bedürfnisse und Merkmale der Organisation zugeschnitten sein müssen, für die sie entwickelt und implementiert werden – hier gibt es keine Einheitslösung
Autor: Prof. Dr. David Wagner
Chatbots für den Kundenservice
MUUUH! Next hat sich auf die Automatisierung des digitalen Dialogs spezialisiert. Wir verfügen über breite Expertise in der Anwendung einer Vielzahl von Tools. Gern unterstützen wir Sie bei Auswahl und Implementierung der passenden Werkzeuge, der Programmierung von Chat-, Text- oder Voice-Bots, der Schulung von Mitarbeitenden oder der Automatisierung von Prozessen im Kunden- und Service-Center.
Ben Ellermann
E-Mail: ben.ellermann@muuuh.de
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