David Wagner: Franziska vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, mit mir zu sprechen. Was genau macht man eigentlich in diesem Bereich Developer Relations und inwiefern gehört der zum Community Management?
Developer Relations ist im Grunde genommen der Beziehungsaufbau und die Beziehungspflege zu Developern. Meist interessiert das Unternehmen, die ein Ökosystem aufbauen. Ein klassisches Beispiel ist Google mit Android, das einen Store aufbaut. Externe Entwickler, die nicht angestellt sind, entwickeln Apps dafür. Weiterhin gibt es sehr viele Software-Anbieter, bei denen externe Entwickler Ergänzungen entwickeln oder die Software eben selbst tagtäglich im Unternehmen nutzen. Das sind ebenfalls große Interessensgebiete.
Bei dem Beziehungsaufbau und der Beziehungspflege werden sehr viele Community-Management-Methoden angewandt. Ziel des Beziehungsaufbaus ist es, über die Interaktion mit Developern im externen Ökosystem Loyalität und Bindungen an ein Unternehmen, eine Organisation oder ein Projekt zu schaffen.
Daneben gibt es auch noch den Teilbereich Developer Advocacy. Darunter versteht man die Interpretation von und zur Community. Der Bereich umfasst zum Beispiel technische Dokumentation, das Erstellen von Tutorials oder das Sprechen auf Konferenzen.
DW: Was sind Aufgaben von jemanden, der in diesem Bereich arbeitet oder was sind deine Hauptaufgaben, mit den du regelmäßig zu tun hast?
Im Grunde genommen beginnt und endet alles mit der Strategie. Eine Firma oder eine Organisation, die Entwickler an sich binden möchte, wird sich erst einmal hinsetzen und sich überlegen, welche Strategie zu ihr, ihren Inhalten und Angeboten passen kann.
Ich arbeite äußerst zahlenbasiert. Dafür muss ich den Markt, man könnte jetzt auch sagen, die Community, recherchieren. Wie sieht meine Zielgruppe aus? Was interessiert die Zielgruppe? Wie kann ich meine Angebote am besten zuschneiden? Aus dieser Recherche heraus entsteht dann eine Strategie, die verschiedene Elemente beinhaltet.
Möchte ich ein Community-Programm aufbauen? Das heißt zum Beispiel, dass sich Entwickler persönlich austauschen, oder dass Entwickler zu einem Open-Source-Projekt beitragen. Oder ist es vielmehr so, dass es mir darum geht, meine Inhalte der Entwickler-Community vorzustellen, zum Beispiel in Form von Workshops?
Wer sich die Hauptaufgaben von DevRelern anschaut, entdeckt an vorderster Front Austausch. Das kann in Form von E-Mails sein, Face-to-Face bei Events oder eben Beiträgen zu Konferenzen. Das ist ein wesentlicher Teil der täglichen Aufgaben in Developer Relations. Dann ist da aber auch Content-Erstellung, etwa die Produktion von Tutorials oder technischen Dokumentationen, also Artikeln, die Code erklären oder Lösungswege aufzeigen. Hinzu kommt in vielen Fällen die Beziehungspflege mit anderen Organisationen aus dem Ökosystem.
Einerseits sind DevReler selbst sehr technisch und programmieren möglicherweise. Sie sind stark eingebunden in die Erklärung von technischen Inhalten. Andererseits gibt es die Community- und Marketing-Aspekte.
DW: Was macht dir besonders viel Spaß an der Tätigkeit und gibt es Dinge, die gewöhnungsbedürftig sind?
Besonders viel Spaß macht mir der Austausch mit Menschen – was eigentlich ein Kennzeichen sämtlicher Community-Aktivitäten ist. In diesem Fall sind es eben Entwickler. Wenn ich mir meine persönliche Lieblingszielgruppe stricken könnte, wären das tatsächlich Entwickler. Als Gruppe sind sie sehr stark lernorientiert. Sie wissen, dass ihre Kenntnisse stark nachgefragt werden. Sie bleiben up-to-Date und halten ihr Wissen aktuell. Innerhalb der Community sind sie sehr hilfsbereit. Wenn ich eine Frage habe oder wenn ich mich weiterentwickeln möchte, finde ich sofort Unterstützung. Das ist toll zu beobachten. Und entgegen aller Stereotype sind sie sehr sozial und mittlerweile auch sehr divers. Das heißt, man kann alle möglichen Menschen mit allen möglichen Hintergründen in den Developer Communities antreffen.
Was für viele, die komplett neu in dieser Welt sind, ein bisschen gewöhnungsbedürftig ist, ist die technische Ausdrucksweise. Entwickler reden im technischen Jargon und man versteht vielleicht nicht immer sofort, was damit gemeint ist. Das ist ein gewisser Code, auch sprachlich gesehen, aber es gibt eben auch diese unglaubliche Offenheit und dieses Streben nach Inklusion und der Förderung jedes Einzelnen.
DW: Inwiefern würdest du denn sagen, unterscheidet sich das Community Management bei Developer Relations von anderen Community-Ansätzen, die du vorher schon kennengelernt hast oder die du vielleicht aus dem Community-Umfeld kennst?
Wer mit Entwicklern arbeitet, hat auch ständig mit Code in irgendeiner Form zu tun. Dieses Merkmal teilen klassische Community-Ansätze nicht unbedingt.
Was sich auch sehr stark unterscheidet, ist überraschenderweise der Offline-Kontakt. Gerade wenn wir uns Community-Programme anschauen, liegt der Fokus bei Developer Relations auf den Events. Dorthin zu gehen, sich mit Leuten vor Ort zu unterhalten, Hände zu schütteln, bei Konferenzen zu sprechen.
Wir reden im Community Management oft von Skalierung. Es muss alles skalieren und das erscheint online eben leichter. Im Zeitalter von Social Media werden mit einem Post sehr, sehr viele Menschen auf einmal erreicht. Das heißt aber nicht notwendigerweise, dass das qualitativ besser ist. Gerade im Bereich der Developer Relations geht es sehr stark um Vertrauen. Die Community an sich ist nicht sehr empfänglich für Marketingbotschaften. Unternehmen können und sollten Community-Pflege persönlich gestalten. Für jemanden, der klassisch im Community Management mit Fokus auf Social Media gearbeitet hat, ist das vielleicht ein neuer oder unbekannter Aspekt.
DW: Etwas kritisch gefragt: Warum braucht es jetzt für die Developer Relations einen eigenen Community-Bereich?
Wir alle wissen, dass Developer als gutbezahlte Talente stark hofiert sind. Das ist natürlich ein Faktor. Es ist im Interesse jedes Unternehmens, diese möglichst stark zu binden.
Developer sind zu recht wählerisch. Sie können sich die besten Tools auswählen und frei entscheiden, für wen sie wie was produzieren.
DW: Kaum eine andere Abteilung im Unternehmen dürfte wohl die Begleitkosten eines eigenen Community-Bereichs rechtfertigen können.
Die Frage ist, welche Unkosten die Kollegen hätten ohne diese Investition hätten. Unabhängig vom konkreten Format des Community-Programms wird man nie so einfach Recherche betreiben können. Gerade weil Developer so eine umworbene Zielgruppe sind, lohnt es sich, diese Investition zu tätigen.
DW: Du hast vorher schon den Google App Store als Beispiel erwähnt. Welche weiteren Community-Programme und -Formate gibt es?
Anfangs ist von den großen Technologiefirmen viel losgetreten worden, also von Google, Microsoft, Amazon und IBM. Es gibt sehr, sehr viele Programme mit Community-Fokus. Das heißt, das Unternehmen gibt der Community eine Art Sponsoring oder Branding. Es gibt zum Beispiel Google Developer Groups, die sich dann in verschiedenen Städten treffen. Es gibt Microsoft-Gruppen, die thematisch von Office-Anwendungen bis hin zu Microsoft Azure, also Cloud-basierten Lösungen, reichen. Dann gibt es Programme, in denen Unternehmensvertreter nach draußen gehen und ihre Angebote erklären, beziehungsweise Interessierten näherbringen. Klassischerweise kennt man das von den AWS Days von Amazon. Das sind unter anderem die größten Events, zu denen Entwickler hingehen und den Tag über lernen: Wie wende ich das am besten in meiner Firma oder meinem Projekt an?
Ein gutes Beispiel für Community-Arbeit und die Einbindung externer Entwickler bei einem Open-Source-Projekt ist Mozilla, einer non-Profit-Organisation. Mozilla unterstützt mittlerweile sehr stark regionale Entwicklergruppen, zum Beispiel Rust, und hat zusätzlich eine große vor-Ort-Community aufgebaut.
Abgesehen von den großen Firmen sehe ich immer mehr kleinere Unternehmen oder Organisationen, die in den Bereich investieren. Ein gutes Beispiel ist Turbine Kreuzberg hier in Berlin, die nun auch Gruppen in Deutschland und in Portugal haben.
Von globalen Community-Programmen über globale Open-Source-Aktivitäten bis hin zu kleineren Initiativen vor Ort ist eigentlich das gesamte Spektrum vertreten. Das zieht sich von rein online zu offline, und ist in verschiedensten Mischformen zu finden.
Auch interessant: Viele Unternehmen unterhalten Botschafterprogramme, so zum Beispiel die Microsoft MVPs oder AWS Heroes.
Und schlussendlich heißt Programm nicht, dass ich notwendigerweise selbst etwas aufsetzen muss. Gerade der Outreach zu bestehenden Communities ist ein wichtiger Baustein jeder DevRel-Strategie.
DW: Gibt es in deiner bisherigen Tätigkeit ein besonders erinnerungs-würdiges Erlebnis?
Ja! Ich erinnere mich mit großer Freude an das Women Techmakers Summit im Jahr 2019 zurück. Das war in der Zeit, als ich Regional Lead in Developer Relations bei Google für den DACH-Raum war. Dazu muss man sagen, dass das Women-Techmakers-Programm Diversität im Bereich Technologie fördern soll. Das geht von lokalen Meetups über Event Days. Wir haben das Summit in Warschau organisiert.
Das Format war schon immer auf Social Media in irgendeiner Form begleitet worden. Es gab immer ein bisschen Social Buzz um die Veranstaltung herum. Ich hatte in diesem Fall das erste Mal eine konkrete Strategie aufgesetzt. Mit dieser Strategie und der tatkräftigen Unterstützung aller Teilnehmer vor Ort - wir waren ungefähr 150 - sind wir dann tatsächlich auf dem zweiten Platz auf Twitter in Polen getrendet. Das war für mich ein absolutes Highlight, weil wir dadurch nicht nur diese unglaubliche Sichtbarkeit geschaffen haben. Sondern auch Leuten, die nicht physisch bei der Veranstaltung dabei sein konnten, die Möglichkeit gegeben haben, sie über Twitter mitzuverfolgen, mitzufiebern und zu schauen, was es im Programm gibt. Das war für mich ein ganz besonderes Erlebnis.
DW: Das klingt gut. Was ist ein Key Learning aus Deiner Tätigkeit im Bereich Developer Relations?
Wir predigen im Community-Bereich seit Jahren, dass wir stärker datengetrieben arbeiten sollten. Es geht darum, nicht alles nach Bauchgefühl zu entscheiden. Das würde ich definitiv im Bereich der Developer Relations unterschreiben. Wir sind aktuell allerdings in einer Situation, wo es tatsächlich noch nicht viele Zahlen gibt. Developer sind nicht dafür bekannt, gerne Fragebögen auszufüllen.
Auf der einen Seite ist es wichtig, Entwicklungen quantitativ fassen zu können, damit die Initiatoren wirklich gute Strategien aufsetzen. Andererseits spielt der qualitative Aspekt eine wichtige Rolle, also der Community gut zuzuhören, Warnsignale früh wahrzunehmen und Stimmungsbilder zu gewinnen. Am Ende des Tages zeichnet sich Community Management durch Menschlichkeit aus, und das ist etwas, das wird die Community, die man aufbaut, registrieren und auch wertschätzen. Das habe ich immer umgesetzt, unabhängig vom Thema der Community.
Wer diese beiden Aspekte, also den datengetriebenen und den zwischenmenschlichen, gut vereinbart, wird ein bombastisches Programm aufbauen, welches den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Entsprechend stellt sich Erfolg ein.
DW: Datengetriebenes Management klingt immer sexy, bleibt aber natürlich ein Stück weit abstrakt. Welche konkreten Daten sollten denn unbedingt in Strategie- und Entscheidungsprozesse einfließen?
Das ist eine sehr wichtige Frage. Im Grunde gibt es im Moment nur sehr wenige Anbieter von Daten in dem Bereich. Einer der in Europa sehr bekannten ist SlashData, darüber hinaus gibt es noch Evans Data und IDC. Das sind die gängigen Anbieter, die etwa durch Developer-Befragungen sagen können, welche Programmiersprachen in welchem Land am beliebtesten sind.
Es gibt öffentliche Datensammlungen, wie zum Beispiel die Stack-Overflow-Entwicklerumfrage. Stack Overflow ist ein sehr wichtiges Forum mit Fragen und Antworten für Entwickler. Es gibt weiterhin das State of the Octoverse von GitHub, durch das wir jedes Jahr Zahlen dazu bekommen, welche Open-Source-Projekte am schnellsten wachsen, welche Sprachen gerade gefragt sind usw. Allein dadurch bekommen Organisationen ein gutes Gefühl, was gerade wichtig ist in der Community. Das gilt gerade auch für den eigenen Bereich, also abhängig davon, ob ich beispielsweise im DevOps-Bereich unterwegs bin, mobile Entwickler für mich interessieren möchte oder Frontend- oder Backend-Entwickler.
Und dann gibt es da noch den Fall, dass die Daten, die ich benötige, nicht vorliegen oder von keinem der eben genannten Anbieter erfasst werden. In diesem Fall rate ich, selbst aktiv zu werden, die eigene Community zu befragen. Man sollte keine Angst davor haben, den Austausch mit Menschen zu suchen. Es empfiehlt sich, diese Antworten auf die eigenen Fragestellungen nicht immer nur im eigenen Unternehmen zu suchen, sondern eben auch in der Community und in den Zirkeln, in den Netzwerken, die bereits bestehen. Anfangs kann ich vielleicht nur auf kleiner Basis quantifizieren. Aber ich kann es versuchen und damit eine wesentlich bessere Entscheidungsgrundlage schaffen als komplett ohne Daten.
DW: Vielen Dank. Das war ein sehr guter Teaser und Einstieg in den Bereich. Wenn es jetzt noch Leser gibt, die gern tiefer in die Materie eindringen wollen, wohin würdest du sie verweisen? Was sollen sie lesen?
Es gibt ein paar sehr gute Newsletter im Bereich Developer Relations. Da fällt mir spontan der von Mary Thengvall ein. Sie hat auch ein Buch geschrieben.
Dann empfehle ich gerne den Newsletter der geschätzten Kollegen von Developer Avocados. Warum Avocado? Das geht auf die falsche Aussprache von Developer Advocate zurück. Mittlerweile wird die Avocado deshalb oft mit Developer Relations assoziiert.
Es gibt aber natürlich auch ganz viele andere Quellen, etwa Veranstaltungen wie die DevRelCon. Sie findet in San Francisco, London und Tokio statt, wo man hingehen und sich austauschen kann. Auch in Deutschland kann ich tatsächlich schon zwei Meetups empfehlen, eines in Berlin und eines in München. Dort werden wirklich tolle Themen behandelt, die von technischem Recruiting bis hin zu aktuellen Herausforderungen wie dem Coronavirus reichen. Ich habe dort auch schon gesprochen.
Und vielleicht als letzter Punkt: Es gibt von SlashData ein Standardwerk, das heißt Developer Marketing & Relations: The Essential Guide, in dem sehr viele Größen aus der Branche, etwa von Google, Microsoft und anderen Unternehmen, zu Wort kommen. Leser können sehr viel mitnehmen, egal, ob sie aus dem klassischen Community-Bereich, aus Developer Relations oder aus Richtung Developer Marketing kommen.
Wer zudem ein paar Schlüsselpersonen auf Twitter folgt und sich ein bisschen in die Newsletter einliest, bekommt bereits einen sehr guten Überblick.
Das Interview führte Prof. Dr. David Wagner.
Weiterführende Links:
https://www.marythengvall.com/blog/2019/5/22/what-is-developer-relations-and-why-should-you-care